Im Namen meines Vaters Hrant Dink, meines Bruders Tahir Elci und meines Sohnes Berkin Elvan

Diese Namen kennt ihr wahrscheinlich nicht, Hrant Dink war armenischer Türke, Tahir Elci ein Kurde und Berkin Elvan ein Zaza. Sie lebten in der Türkei und wurden dort ermordet. Berkin war übrigens erst 15 Jahre alt. Ich bin keine Kurdin, keine Armenierin, auch keine Zaza. Die Familie, in die ich hineingeboren bin, stammt aus Trabzon. Menschen aus Trabzon werden in der Türkei wie Helden gefeiert. Der Mörder von Hrant Dink stammt auch aus Trabzon, er wurde nach dem Attentat festgenommen und ein paar Polizisten haben sich zusammen mit ihm mit einer türkischen Flagge fotografieren lassen. Das Foto ist im Internet leicht zu finden. Auf jeden Fall kommen meine Vorfahren aus Trabzon und in Trabzon gibt es nur Nationalisten, religiöse Nationalisten und Ultranationalisten. Man ist stolz ein Türke zu sein. Ich nicht.
Ich bin nicht stolz darauf, aus solchen nationalistisch geprägten Kreisen zu stammen. Ich glaube, vor sehr vielen Jahren dachte ich genauso, wie jeder und jede aus meiner familiären Umgebung. Irgendwas ist aber passiert. Das was passiert ist, passierte nicht plötzlich. Das was mit mir geschah, hat etwas mit Gedächtnis und Erkennen der Zusammenhänge anhand der Vergleiche von eigenen Erfahrungen miteinander zu tun. An das, was man zum Beispiel vor 20 Jahren gehört oder gelesen hat, erinnert man sich in einer ganz speziellen Situation und versteht, was damit gemeint war. Man erinnert sich an das, was man mal jemandem anderen angetan hat, als jemand ganz anderer einem das gleiche antut und spürt den gleichen Schmerz, den die Person, die man selber gedemütigt oder verletzt hat, gefühlt hat. So lernt man im Laufe der Zeit ein Mensch zu sein. So lernt man sich für vieles zu schämen, worauf viele andere stolz sind.
Ich frage mich oft, ob ich mich zu derselben Person entwickelt hätte, die ich jetzt bin, wenn ich nicht nach Österreich zurückgekehrt wäre. Manchmal bekomme ich Angst, wenn ich daran denke. Ich hätte keinen Grund gehabt, vieles zu überdenken, weil ich nicht eine der Unterdrückten war, sondern eine der Unterdrückenden. In Österreich bekam ich die Gelegenheit, Dinge aus der Perspektive der "Anderen" zu betrachten. Ich hatte Glück und dafür bin ich dankbar. Manchmal ist es unsere Rettung, gedemütigt und diskriminiert zu werden. Auf diese Weise lernen wir zu verstehen, was wir den Anderen antun. So verstehen wir das Leiden und die Melancholie eines einsamen Armeniers, eines Kurden und eines zazaischen Jungen, der 15 Jahre jung war als er starb und nur 16 Kilo wog. Da stirbt man mit ihnen. Man ist dann ein Armenier, Kurde und ein Zaza und keine Türkin. Da stirbt man als Armenierin und Kurdin und lebt als Mutter eines verstorbenen Zaza-Jungen und empfindet Scham dafür, dass Blut an eigenen türkischen Händen klebt.
PS: Auch an unseren Händen als EU-Bürger klebt Blut. Die Türkei erhält von der EU 3 Milliarden Euro. Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass mit diesem Geld nicht die Hilfe für Flüchtlinge finanziert wird, schenken wir der Türkei unser Geld und finanzieren womöglich damit die Kriegspolitik dieses Landes. Das macht uns alle verantwortlich für die Tötung von Menschen in diesem Land. Und das sagt auch einiges darüber aus, für welche Interessen sich unsere europäischen Politiker einsetzen und wie machtlos wir als Volk bzw. Bürger und Bürgerinnen in Europa sind. Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

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